Wie Design Thinking neue Wege im Umgang mit Schmierereien öffnet
Die Universitätsbibliotheken der TU und UdK Berlin stehen vor einer fortwährenden Herausforderung: Schmierereien in Toiletten und Workbays – Bereiche, die außerhalb der direkten Sicht anderer liegen. Diese sind nicht nur optisch störend, sondern können auch problematische und anstößige Inhalte vermitteln.
© UB TU Berlin
Das Problem: Mehr als nur Schmierereien
Trotz regelmäßiger Kontrollgänge und schneller Entfernung von Graffitis konnte bisher keine nachhaltige Verbesserung erzielt werden. Nach dem Ende der Corona-Pandemie hat sich die Anzahl der Schmierereien zudem deutlich erhöht. Um dieser Situation auf kreative Weise zu begegnen, entschied sich das Bibliotheksteam von TU und UdK Berlin, einen neuen Ansatz zu verfolgen. Im April 2024 startete ein Design-Thinking-Workshop mit Mitarbeitenden aus verschiedenen Bereichen beider Bibliotheken, die unserem Aufruf zur Mitgestaltung zahlreich folgten. Die nutzer*innenzentrierte Methode umfasst sechs Phasen.
Design Thinking: Ein Problem systematisch lösen
Phasen 1 und 2: Verstehen und Beobachten
Im ersten Schritt setzten die Beteiligten sich intensiv mit dem Problem auseinander: Wer sind die Nutzer*innen? Welche Bedürfnisse und Probleme könnten sie haben, aber auch welche Bedürfnisse haben die Beschäftigen der Bibliothek?
Dazu versetzte das Bibliotheksteam sich in die Perspektive der verschiedenen Akteur*innen, indem sie sogenannte Personas entwickelten. Diese Personas – vom Studierenden über die externe Nutzerin bis hin zur Bibliotheksmitarbeiterin – halfen dabei, Bedürfnisse und Herausforderungen besser zu verstehen.
Phase 3: Definieren – Das Kernproblem formulieren
Nach der Analyse wurde die zentrale Frage ausformuliert: „Wie können wir Schmierereien verhindern, ohne die kreativen Bedürfnisse und den Ausdruckswunsch unserer Nutzer*innen zu ignorieren?“ Diese Fragestellung gab die Richtung für die nächsten Schritte vor.
Phase 4: Ideen finden – Kreative Lösungen entwickeln
Jetzt wurde es kreativ: Mit Techniken wie Scamper, Brainwriting und How might we-Fragen wurde eine Vielzahl von Ideen entwickelt. Drei davon schafften es mit Hilfe einer Now How Wow Matrix als Prototypen in die nächste Phase.
Phase 5: Prototypen entwickeln – Ideen zum Leben erwecken
Die entwickelten Prototypen unterscheiden sich in ihrer Kreativität erheblich:
- „UB-Lounge extended“: Dunklere Farben und bessere Platzierung einer Workbay, um Schmierereien unattraktiver zu machen. Dies erschien als eine einfache, schnell umsetzbare Lösung.
- „Tob-Dich-Aus-Wand“: Kreativität gezielt zulassen, indem spezielle Flächen zum Bemalen freigegeben werden.
- „Das schöne Örtchen“: Der ungewöhnlichste Ansatz, bei dem Nutzer*innen Toilettenräume in einem Wettbewerb selbst gestalten sollten.
Phase 6: Testen – Funktionieren die Lösungen? In der Testphase wurde geprüft, wie sich die Prototypen bewähren:
- „UB-Lounge extended“: Das Umfärben erwies sich nicht als praktikabel, doch die neue Platzierung einer Workbay und Reinigung aller hellgrauen Exemplare zeigten Wirkung – seit August 2024 gab es keine neuen Schmierereien.Foto 2
- „Tob-Dich-Aus-Wand“: Die sogenannte „Freestylewand“ wurde begeistert angenommen und zeigt seitdem Katzenbilder, Feedback und Zitate. Ob aber dadurch tatsächlich Personen davon abgehalten wurden, Schmierereien und Graffitis zu produzieren, lässt sich nicht ermitteln.Fotos 3, 4, 5, 6
- „Das schöne Örtchen“: Da dieses Projekt mit höheren Kosten verbunden ist, wurde die Umsetzung in die Planungen für das Jahr 2025 aufgenommen. Vorerst wurde eine Art Verhaltenskodex in die Innenwände der Toilettenkabinen gehängt. Er soll Nutzer*innen für das Thema sensibilisieren und sie dazu ermutigen, Schmierereien dem Bibliothekspersonal zu melden.
Foto 2 | © UB TU Berlin
Foto 3, 4, 5, 6 | © UB TU Berlin
Fazit: Probleme kreativ lösen
Die Kolleg*innen waren sehr aufgeschlossen gegenüber den neuen Methoden und entwickelten mit viel Engagement und Freude Ideen, trotz des eigentlich negativ behafteten Themas.
Das Design Thinking hat nicht nur geholfen, das Problem aus neuen Blickwinkeln zu betrachten, sondern auch nutzer*innenzentrierte Lösungen zu finden. Bei der Umsetzung der Prototypen waren an einigen Stellen Anpassungen nötig. Dennoch zeigen sich erste Erfolge: Schmierereien in den Workbays sind zurückgegangen, und die neuen Ansätze finden positive Resonanz.
Mit diesen Erfahrungen will das Bibliotheksteam auch in Zukunft kreative Methoden einsetzen, um die Bibliothek zu einem Ort zu machen, der nicht nur funktional, sondern auch inspirierend ist. Denn manchmal liegt die Lösung nicht nur im „Entfernen“, sondern im Gestalten neuer Freiräume.
© UB TU Berlin
Jessica Ullmann